Die Schweizer Bevölkerung weiss zu wenig über Vorsorge

Berufliche Vorsorge

Die Schweizer Bevölkerung weiss zu wenig über Vorsorge

Ihr Pensionskassenguthaben gehört ganz allein Ihnen – genau wie das Kapital in der Säule 3a. Ist Ihnen diese Tatsache bewusst? Nein? Dann sind Sie in guter Gesellschaft: Der Mehrheit der Menschen in der Schweiz ist diese Tatsache nicht bekannt. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von Vita – berufliche Vorsorge.

Dieses fehlende Wissen hat Folgen: Viele Sparerinnen und Sparer sind stillschweigend damit einverstanden, dass von den Anlageerträgen ihrer Pensionskassenguthaben fast die Hälfte umverteilt wird. Denn ihnen ist nicht bewusst, dass es sich beim Pensionskassenguthaben um ihr eigenes Geld handelt. Mehrere Milliarden Schweizer Franken werden jedes Jahr umverteilt – was in klarem Widerspruch zum Grundprinzip der zweiten Säule steht. Das Geld fliesst von den Berufstätigen zu den heutigen Rentenbezügern. Die Versprechungen aus der Vergangenheit sind heute nur noch auf diese Weise finanzierbar. Dieses Vorgehen hat offensichtlich grosse finanzielle Konsequenzen für die heutigen Berufstätigen: Die Erträge, welche umverteilt werden, schmälern den Zuwachs ihrer Altersguthaben.

Ursachen der Finanznot in der beruflichen Vorsorge

Schon seit längerem steht die berufliche Vorsorge als wichtigste Säule der Altersvorsorge vor grossen Herausforderungen. Die zugesagten Renten können nicht mehr vollständig aus dem angesparten Alterskapital der heutigen Pensionierten erwirtschaftet werden. Dafür gibt es drei Gründe: Die Lebenserwartung der Menschen ist mittlerweile deutlich höher als in den Entstehungsjahren der beruflichen Vorsorge. Zweitens bereiten die seit mehr als zehn Jahren extrem niedrigen Zinsen grosse Probleme. Dadurch werden erheblich schlechtere Erträge erwirtschaftet. Oft wird der Zins als «dritter Beitragszahler» neben Mitarbeitenden und Arbeitgebenden bezeichnet. Drittens führen die rigiden gesetzlichen Vorgaben zu überhöhten Garantien – in Form von zu hohen Umwandlungssätzen und unrealistischen Zinsversprechen.

Die Vorsorgeeinrichtungen müssen die garantierten Renten mit einem beträchtlichen Teil der Anlageerträge der Berufstätigen finanzieren, indem diese zugunsten der Pensionierten umverteilt werden. 

BVG in Schieflage – doch in der Bevölkerung regt sich kaum Widerstand. Weshalb?

Der Status quo in der beruflichen Vorsorge wird auf Kosten der Zukunft aufrechterhalten, denn die Schieflage der zweiten Säule ist unübersehbar. Warum ist ein Aufschrei in der Bevölkerung bislang ausgeblieben? Das renommierte Forschungsinstitut Sotomo hat im Auftrag von Vita dazu eine repräsentative Gruppe von 1’608 Menschen zwischen 18 und 79 Jahren befragt – und spannende Antworten erhalten:

 

1. Das Pensionskassenguthaben gehört zum eigenen Vermögen das ist vielen unbekannt

Die Mehrheit der Berufstätigen weiss nicht, dass ihr Pensionskassenguthaben ihnen selbst gehört: Lediglich 44 Prozent der Schweizer Bevölkerung zählen das Pensionskassenguthaben zum eigenen Vermögen. Der Mehrheit ist diese Tatsache also unbekannt. Warum wohl? Pensionskassenbeiträge werden direkt vom Lohn abgezogen und müssen bei der Steuererklärung nicht als Vermögen deklariert werden. Auch weil die Arbeitnehmenden in der Regel vor der Pensionierung nicht über das angesparte Alterskapital verfügen können, betrachten sie es weniger als ihr Eigentum. Dazu passt auch, dass nur eine von sechs befragten Personen genau wusste, wie hoch das eigene Pensionskassenguthaben momentan ist bzw. in Zukunft sein wird, Stand heute.

«Nur 44 Prozent wissen, dass das Pensionskassenguthaben zum eigenen Vermögen zählt.»

2. Der Umwandlungssatz wird falsch verstanden

Für die meisten der Befragten stellt eine mögliche Senkung des Umwandlungssatzes das grösste Risiko für ihre künftigen Renten dar. Dabei beginnt das Dilemma genau hier: Gerade weil der Umwandlungssatz noch nicht gesenkt wurde, muss heute ein bedeutender Teil der Anlageerträge von Erwerbstätigen zu Pensionierten umverteilt werden, was das Alterskapital weniger stark ansteigen lässt und somit zu tieferen Renten führt.

3. Vorsorge kein Thema

Vor allem junge Erwachsene (18 bis 25 Jahre) beschäftigt das Thema der persönlichen Altersvorsorge kaum. Nicht einmal jede und jeder Dritte (29 Prozent) macht sich dazu Gedanken. Trotzdem sorgt sich mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen um das Einkommen im Alter. Die Kombination von fehlendem Wissen und Unbehagen lähmt: Sie spüren, dass etwas schiefläuft, verstehen aber zu wenig, um konkrete Änderungen einzufordern.

«Nur 29 Prozent der jungen Erwachsenen beschäftigen sich mit ihrer Altersvorsorge. Meist wird das Thema verdrängt.»

4. Umverteilung wird nicht als Problem erkannt

Knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent) empfindet die Umverteilung in der zweiten Säule als fair. Ihnen ist nicht bewusst, dass das System anders gedacht ist und ihnen das Geld eigentlich selbst gehört. Wäre diese Tatsache besser bekannt, würde mehr politischer Druck entstehen – das glauben jedenfalls vier von fünf Personen (78 Prozent). Diese Zahlen zeigen, dass die Funktionsweise der beruflichen Vorsorge erläutert und die aktuellen Entwicklungen eingeordnet werden müssen. Denn nur wer die Zusammenhänge versteht, kann sich auch eine fundierte Meinung bilden.

5. Bewahren oder verändern?

Die garantierten Renten im heutigen BVG sind laut der Sotomo-Studie der Hauptgrund für die positive Beurteilung der Umverteilung: Viele der Befragten gehen davon aus, dass auch sie selbst später fixe Renten erhalten werden. Damit würden auch sie im Alter von der Umverteilung profitieren. Doch diese Hoffnung könnte sich als trügerisch erweisen: Das Verhältnis von Berufstätigen zu Pensionierten wird sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. Die Pyramide mit vielen Beitragszahlenden unten und wenigen Rentnerinnen und Rentnern oben entwickelt sich tendenziell zum Rechteck. Deshalb ist das Risiko gross, dass das Pyramidensystem an seine Grenzen kommt. Die heutigen Berufstätigen wären dann doppelt bestraft: Ihre eigenen Erträge auf das Pensionskassenguthaben werden momentan fast zur Hälfte umverteilt. Doch sie selbst werden von dieser Umverteilung in Zukunft nicht mehr im selben Mass profitieren – wenn überhaupt.

6. Chance für das BVG: Renten mit variablem Anteil

Gut jede dritte befragte Person würde sich für eine Rente mit variablem Anteil und tieferen Garantien entscheiden. Davon könnten vor allem junge Erwachsene stark profitieren. Durch eine geringere Umverteilung erhielten sie mehr Rendite und könnten gleichzeitig durch die langen Laufzeiten den Zinseszinseffekt optimal ausnutzen. Das grösste Interesse bekunden indes die 46- bis 55-Jährigen – vermutlich haben sie sich bereits stärker mit den Zusammenhängen der beruflichen Vorsorge auseinandergesetzt, da ihre eigene Pensionierung in greifbare Nähe rückt.

Heute sind die Renten fix, ihre Höhe ist vollumfänglich garantiert. Doch diese Festlegung ist teuer und schmälert das Renditepotenzial. Eine Kombination von fixen und variablen Anteilen könnte deshalb in Zukunft eine Chance für die berufliche Vorsorge sein.

«Jede und jeder dritte Berufstätige wünscht sich eine Rente mit variablen Anteilen.»

Fazit: Aufklärung tut not für eine nachhaltige Reform der beruflichen Vorsorge

Die berufliche Vorsorge ist ein komplexes Thema – und für die meisten Menschen in der Schweiz eines, um das man lieber einen grossen Bogen macht. Deshalb ist vielen nicht bewusst, dass der Status quo auf Kosten der Zukunft aufrechterhalten wird. Das betrifft die heutigen Berufstätigen ganz konkret. Es ist wichtig, diese Zusammenhänge verstärkt aufzuzeigen – und zwar so, dass eine breite Bevölkerung sie verstehen kann. Nur so entsteht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass eine Reform der beruflichen Vorsorge unausweichlich ist. Die Sotomo-Studie zeigt auf, wie wichtig diese Aufklärungsarbeit ist. Und sie macht Hoffnung, dass besser informierte Menschen offener sind für moderne Lösungsansätze, um die berufliche Vorsorge erfolgreich in die Zukunft zu führen.

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