Fairness statt Umverteilung in der zweiten Säule

Umverteilung

Fairness statt Umverteilung in der zweiten Säule

Das Schweizer System der Altersvorsorge beruht auf drei Säulen: AHV, BVG und private Vorsorge. In der ersten Säule, der AHV, gilt das Umverteilungsprinzip. Bei der zweiten Säule, dem BVG, ist beim Sparen keine Umverteilung vorgesehen. Gleichwohl hat sie sich eingeschlichen und schmälert das Alterskapital der Beitragszahler. Was sind die Gründe dafür?

Die zweite Säule, die berufliche Vorsorge, wurde 1985 im Gesetz (BVG) verankert, mit dem Ziel, gemeinsam mit der AHV den Menschen im Alter den gewohnten Lebensstandard angemessen erhalten zu können. Sie besteht aus zwei Komponenten, dem Sparteil und dem Risikoteil. Beim Risiko gilt das Solidaritätsprinzip, denn alle zahlen gemeinsam ein. Dieser Solidaritätsgedanke macht Sinn bei dauerhaften Erkrankungen und vorzeitigen Todesfällen – da sprechen wir von einer gewollten Umverteilung. Beim Sparteil hingegen gilt das Kapitaldeckungsverfahren: Jeder spart für sich, um sich einen guten Lebensstandard nach der Pensionierung zu sichern. Vom Gesetzgeber her ist hier keine Umverteilung vorgesehen: Jeder backt seinen eigenen Kuchen und darf diesen dann auch geniessen.

Die Ursachen der Umverteilung

In den vergangenen 35 Jahren haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert und deshalb findet – ganz schleichend – eine immer stärkere Umverteilung auch innerhalb des Sparteils statt. Das bedeutet: Die Erträge meines Kapitals, die eigentlich mir gehören, werden zum Teil an andere weiterverteilt. Und mein Kuchen fürs Alter wächst nicht wie ursprünglich vorgesehen an, sondern bleibt kleiner, als er sein sollte. Was sind die Ursachen für diese Umverteilung?

  • Die Menschen in der Schweiz werden immer älter, gleichzeitig gibt es deutlich weniger Kinder. In der Folge verändert sich das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern, wie beim Bundesamt für Statistik zu erfahren ist: Kamen im Jahr 1991 noch 28 Rentner auf 100 Erwerbstätige, waren es 2019 bereits 35 Rentner. Im Jahr 2040 könnten es, so die Prognose des Bundesamtes, bereits 50 Rentner auf 100 Erwerbstätige sein.
  • Im Jahr 1960 hatte ein 65-jähriger Mann noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 13 Jahren, heute sind es bereits 20 Jahre. Das angesparte Geld muss also für eine längere Zeitspanne ausreichen. Doch die vorhandenen Garantien und Umwandlungssätze entsprechen nicht der Realität: Die Zinsen sind seit Jahren derart niedrig, dass das Vorsorgekapital nicht mehr so wächst wie ursprünglich geplant. Der im Gesetz festgelegte Umwandlungssatz von 6,8 Prozent für den obligatorischen Teil ist zu hoch angesetzt. Das führt dazu, dass das angesparte Kapital nicht für die längere Rentenzeit ausreicht. Auch die Rendite, die sich an den Kapitalmärkten noch erwirtschaften lässt, ist zunehmend unsicherer, bedingt durch die hohe Volatilität und das anhaltend tiefe Zinsumfeld. Für das Kuchenbeispiel bedeutet das: Mit dem hohen Umwandlungssatz erhalte ich zu grosse Kuchenstücke, entsprechend ist der Kuchen schneller aufgegessen. Die niedrige Rendite sorgt dafür, dass die Schokoladenschicht auf meinem Kuchen immer dünner wird.
  • In dieser Situation entsteht bei den Pensionskassen eine Finanzierungslücke. Um die unrealistischen – auf alten Annahmen basierenden – Auszahlungsversprechen an die Rentner zu halten, müssen sie einen Teil der Anlageerträge von den Berufstätigen zu den Rentnern verschieben oder eben umverteilen. Notgedrungen senken die Sammelstiftungen zudem auf dem überobligatorischen Altersguthaben den Umwandlungssatz. In der Folge finanzieren Unternehmen mit hohem Lohnniveau und grosszügigen Pensionskassenleistungen andere Unternehmen mit, die ein niedriges Lohnniveau haben und ihren Versicherten nur ein Minimum an Leistungen bieten.

Das Problem mit der Umverteilung: Das Geld bleibt nicht dort, wo es hingehört  

Der Grundgedanke der zweiten Säule besteht darin, dass jeder Versicherte für sich selbst spart, das sogenannte Kapitaldeckungsverfahren. Mit zunehmender Umverteilung wird dieser Grundsatz untergraben. Das bedeutet für die Versicherten, dass ihre zukünftigen Altersleistungen sinken, weil sie ihre Anlageerträge mit den Pensionären teilen müssen. Und es bedeutet für Arbeitgeber unfreiwillige Solidarität mit anderen, weniger leistungsfähigen oder engagierten Unternehmen. So verlieren sie an Attraktivität für qualifizierte Mitarbeitende, weil sie sich nicht mehr über eine gute Vorsorgelösung differenzieren können. Um beim Kuchenbeispiel zu bleiben: An meinem selbst gebackenen Kuchen esse ich nicht allein, sondern es knabbern jeweils noch andere mit. Am Kaffeetisch in der Familie würde ich mich sofort wehren. In der beruflichen Vorsorge jedoch merke ich erst im Alter, dass andere ihre Gabeln auf meinem Teller hatten und mein Kuchen kleiner ausfällt. Und dann ist es zu spät.

Einfach erklärt 

Weil wir alle länger leben, muss das Alterskapital der Pensionierten immer länger reichen. Zudem nimmt auch die Anzahl der Rentner im Vergleich zu den aktiven Versicherten zu. Der Alterskapital-Topf muss also für immer mehr Menschen über einen immer längeren Zeitraum ausreichen. Die geltenden Umwandlungssätze sind zu hoch, denn sie gehen von einer kürzeren Lebenserwartung aus. So entsteht eine Finanzierungslücke. Um diese zu stopfen, müssen die heutigen Erwerbstätigen auf einen Teil der Renditen auf ihrem Alterskapital zugunsten der Rentner verzichten – dies führt zu einer ungewollten Umverteilung.

Damit auch die heutigen Berufstätigen und vor allem unsere Kinder auf die zweite Säule bauen können, muss diese nachhaltig modernisiert werden. 

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